Rechtsprechung
Aus den nachfolgenden Urteilen leitet sich die Pflicht und der Maßstab zur Organisation und Umsetzung von Compliance für Unternehmen und deren Verantwortlichen ab.
Haftungsbezoge Rechtsprechung
ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung BGH-Urteil v. 21.04.1997 – II ZR 175/95
Amtlicher Leitsatz:
- Die Aufsichtsratsmitglieder haben aufgrund ihrer Organstellung und der sich daraus ergebenden gemeinsamen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefaßten Beschlüsse ein Rechtsschutzinteresse daran, die Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen auf dem Klagewege feststellen zu lassen.
- Der Aufsichtsrat hat aufgrund seiner Aufgabe, die Tätigkeit des Vorstandes zu überwachen und zu kontrollieren, die Pflicht, das Bestehen von Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich zu prüfen.
Dabei hat er zu berücksichtigen, daß dem Vorstand für die Leitung der Geschäfte der AG ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muß, ohne den unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist.
Die nach § 147 Abs. 1 AktG bestehende Möglichkeit der Hauptversammlung, eine Rechtsverfolgung zu beschließen, berührt diese Pflicht nicht. - Kommt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, daß sich der Vorstand schadenersatzpflichtig gemacht hat, muß er aufgrund einer sorgfältigen und sachgerecht durchzuführenden Risikoanalyse abschätzen, ob und in welchem Umfang die gerichtliche Geltendmachung zu einem Ausgleich des entstandenen Schadens führt. Gewissheit, daß die Schadenersatzklage zum Erfolg führen wird, kann nicht verlangt werden.
- Stehen der AG nach dem Ergebnis dieser Prüfung durchsetzbare Schadenersatzansprüche zu, hat der Aufsichtsrat diese Ansprüche grundsätzlich zu verfolgen. Davon darf er nur dann ausnahmsweise absehen, wenn gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls dagegen sprechen und diese Umstände die Gründe, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind.
Anderen außerhalb des Unternehmenswohles liegenden, die Vorstandsmitglieder persönlich betreffenden Gesichtspunkten darf der Aufsichtsrat nur in Ausnahmefällen Raum geben.
Siemens Neuenbürger-Urteil LG München I, Urteil v. 10.12.2013 – 5KH O 1387/10
Leitsätze
- Im Rahmen seiner Legalitätspflicht hat ein Vorstandsmitglied dafür Sorge zu tragen, dass unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöÿe wie Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privat-personen erfolgen. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Gröÿe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.
- Die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäÿ die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems gehört zur Gesamtverantwortung des Vor-stands.
- Liegt die Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds in einem Unterlassen, beginnt die Verjährung im Falle der Nachholbarkeit der unterlassenen Handlung nicht schon dann, wenn die Verhinderungshandlung spätestens hätte erfolgen müssen, sondern erst dann, wenn die Nachholbarkeit endet.
- Verhandlungen im Sinne des §203 BGB betreffen einen bestimmten Lebenssachverhalt, aus dem die eine Seite Rechte herleitet, wobei der Lebenssachverhalt grundsätzlich in seiner Gesamtheit verhandelt wird. Die Aufnahme von Verhandlungen führt dazu, dass dieser Umstand auf den Zeitpunkt des ersten Anspruchsschreibens zurückwirkt.
Garantenpflicht/ Unterlassung BSR-Urteil des BGH v. 09.06.2009 – 5 StR 394/08
Rn. 8
„Für die Tarifperiode 2001/2002, den Tatzeitraum, wurde vom Gesamtvorstand der BSR, eine neue Projektgruppe eingesetzt, die zunächst den Berechnungsfehler aus der vergangenen Tarifperiode beheben wollte. Auf Weisung des Angeklagten wurde dies jedoch unterlassen. Der Angeklagte beabsichtigte, zumal die BSR, durch eine am 6. Juli 2000 geschlossene Zielvereinbarung mit dem Land Berlin sich zu Effizienzsteigerungen und erheblichen Zahlungen verpflichtet hatte, den Fehler fortzuschreiben, um Kostenrisiken auszugleichen und um den von ihm zu verantwortenden Fehler bei der vorherigen Tarifkalkulation zu vertuschen. Der Tarif, in dessen Berechnungsgrundlage auch die anliegerfreien Stra1en einbezogen worden waren, wurde vom Vorstand und Aufsichtsrat der BSR, gebilligt. Der Angeklagte stellte als verantwortlicher Vorstand den Tarif dort jeweils zumindest in Grundzügen vor, ohne jedoch die Entscheidungsträger auf die Einbeziehung der anliegerfreien Stra1en hinzuweisen. Die Senatsverwaltung genehmigte den Tarif. Dabei verpflichtete sie die BSR, allerdings im Wege einer Auflage zu einer Nachkalkulation. Auf der Grundlage des genehmigten Tarifs wurden von den Eigentümern der Anliegergrundstücke höhere Entgelte in Höhe von insgesamt etwa 23 Mio. Euro verlangt. Die geforderten Entgelte wurden zu 98 % bezahlt. Die BSR, machte mit einem vom Angeklagten unterzeichneten Schreiben gegenüber dem Senat ebenfalls Reinigungskosten in Höhe von 35 Mio. DM für Stra1en ohne Anlieger geltend.“
Rn. 22
„cc) Ohne Rechtsverstoß hat das Landgericht bei dem Angeklagten eine mittelbare Täterschaft im Sinne des §25 Abs. 1 2. Alt. StGB angenommen. Der Angeklagte hat dadurch, dass er den Entscheidungsgremien (einschließlich der Senatsverwaltung als Genehmigungsbehörde) die Tarifvorschläge unter Heranziehung falscher (überhöhter) Bemessungsgrundlagen vorlegte, deren Festlegung erreicht. Damit hat er aber zugleich die Grundlage für einen weiteren von ihm ausgelösten Kausalverlauf geschaffen, nämlich die Absendung der Zahlungsanforderungen an die anspruchsverpflichteten Anlieger, die eigentliche Betrugshandlung gegenüber den Eigentümern. Damit hat sich der Angeklagte der mit der Rechnungsstellung und Forderungseinziehung befassten (gutgläubigen) Mitarbeiter bedient, die er zu den Täuschungshandlungen gegenüber den Anliegern verleitet hat. Seine Position als Organ innerhalb der BSR und sein besonderes Wissen darum, wie die Tarife zustande gekommen sind, verschafften ihm die notwendige Tatherrschaft.“
Pflicht zur Implementierung eines CMS
Siemens Neuenbürger-Urteil LG München I, Urteil v. 10.12.2013 – 5KH O 1387/10
Leitsatz 1.:
„Im Rahmen seiner Legalitätspflicht hat ein Vorstandsmitglied dafür Sorge zu tragen, dass unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße wie Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privatpersonen erfolgen. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.“
Leitsatz 2.:
„Die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems gehört zur Gesamtverantwortung des Vorstands.“
Vorteile nach Implementierung eines CMS
Keine/ eingeschränkte Haftung / Straferleichterung BGH-Urteil v. 09.05.2017 – 1 StR 265/16
Rn. 81
„Steuerstrafrechtlich hat dies zur Folge, dass allein die Beteiligung an einer Bestechung keine Garantenstellung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten des Bestechenden auslöst und damit die Nichtverhinderung oder -erschwerung der Steuerhinterziehung weder zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) noch zu einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 27 StGB) führt. Es kommt aber Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) in Betracht, wenn derjenige, der durch Bestechungshandlungen ein Betriebsausgabenabzug gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG auslöst, infolge regelhafter Abläufe bei der Verbuchung von Rechnungen die Geltendmachung der Beträge als Betriebsausgaben herbeiführt, weil er den Steuerpflichtigen bzw. Erklärungspflichtigen nicht über die Gründe informiert, die zum Abzugsverbot geführt haben.“
Rn. 118
„Im Hinblick auf die Höhe der gemäß § 30 Abs. 1 OWiG neu zu bemessenden Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, die Vorschriften des § 30 Abs. 3, § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG in den Blick zu nehmen, nach denen die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen worden ist, übersteigen soll. Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss (vgl. Raum in Hastenrath, Compliance Kommunikation, 2. Aufl., S. 31 f.). Dabei kann auch eine
Rolle spielen, ob die Nebenbeteiligte in der Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.“
Straferleichterung im Steuerrecht gem. Anwendungserlass zu §153 AO des Bundesministerium für Finanzen vom 23.05.2016
Allgemein:
„Die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO besteht, wenn ein Steuerpflichtiger bzw. sein gesetzlicher Vertreter, sein Gesamtrechtsnachfolger oder eine andere in § 153 Abs. 1 Satz 2 AO genannte Person (vgl. AEAO zu § 153, Nr. 4) nachträglich erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung (vgl. AEAO zu § 153, Nr. 3) objektiv unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Steuerverkürzung gekommen ist oder kommen kann. Bei dieser Pflicht handelt es sich um eine steuerrechtliche Pflicht.
Erkennt der Steuerpflichtige erst im Nachhinein die Fehlerhaftigkeit der von ihm abgegebenen Erklärung und kommt er seiner Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO unverzüglich nach, liegt weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, wenn es sowohl am Vorsatz als auch an der Leichtfertigkeit fehlt. Eine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO besteht auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei der Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, sie aber billigend in Kauf genommen hat und später zu der Erkenntnis gelangt ist, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren (vgl. AEAO zu § 153, Nr. 2.6). In diesem Fall hat der Steuerpflichtige zunächst nur mit der Unrichtigkeit der Angaben gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt. Er hat die Unrichtigkeit nachträglich erkannt, wenn er später positiv erfährt, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren.“
Rn. 2.6
„Für eine Steuerhinterziehung reicht von den verschiedenen Vorsatzformen bereits
bedingter Vorsatz aus. Dieser kommt in Betracht, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung anstrebt oder für sicher hält. Nach der BGH-Rechtsprechung ist für die Annahme des bedingten Vorsatzes neben dem Für-Möglich-Halten der Tatbestandsverwirklichung zusätzlich erforderlich, dass der Eintritt des Taterfolges billigend in Kauf genommen wird. Für die billigende Inkaufnahme reicht es, dass dem Täter der als möglich erscheinende Handlungserfolg gleichgültig ist. Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“
Rn. 2.7
„Leichtfertigkeit ist eine besondere Form der Fahrlässigkeit und liegt vor, wenn jemand
in besonders großem Maße gegen Sorgfaltspflichten verstößt und ihm dieser Verstoß besonders vorzuwerfen ist, weil er den Erfolg leicht hätte vorhersehen oder vermeiden können. Wurde leichtfertig eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben, ist ein nachträgliches Erkennen dieses Fehlers möglich. In diesem Fall kann eine Berichtigung nach § 378 Abs. 3 AO erfolgen. Bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 378 Abs. 3 AO ist keine Geldbuße festzusetzen. Die Verschärfungen der Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.4.2011, BGBl. I S. 676, BStBl I S. 495, und durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014, BGBl. I S. 2415, BStBl 2015 I S. 55, wurden nicht entsprechend auf die leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO ausgedehnt.“
Rn. 2.8
„Liegt ein Fehler vor, der unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls weder auf einer vorsätzlichen noch leichtfertigen Handlung (auch durch Unterlassen) beruht, liegt keine Steuerstraftat oder leichtfertige Steuerverkürzung vor. Der Fehler ist nach dessen Erkennen nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzuzeigen und zu berichtigen, falls eine Steuerverkürzung eingetreten ist oder es zu einer Steuerverkürzung kommen kann.“
Die Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.